Unternehmen als Transformatoren
Organisationen als lebende Systeme: dieser Gedanke geht gerade um. Das freut mich. Ich finde ihn schon lange sehr treffend. Doch was machen lebende Systeme eigentlich? Was ist dieses ominöse „Leben“? Darüber möchte ich durch „lautes Nachdenken“ etwas Klarheit für mich gewinnen.
Leben ist Transformation
Ich beginne mal mit: Leben ist Selbsterhalt eines Beziehungsgeflechts durch beständige Transformation.
Lebende Systeme, oder kurz: Organismen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie nach außen hin eine Identität haben - innerlich jedoch sich ständig verändern. Die Identität machen mithin nicht ihre Konstituenten aus, sondern die Beziehungen zwischen den Konstituenten.
Totes wird von Umwelteinflüssen über die Zeit zerrieben, es erodiert. Lebendiges jedoch erhält sich selbst im Angesicht von Umwelteinflüssen. Es betreibt quasi Aikido mit der Umwelt 😃 Es nimmt die Umwelt in sich auf, um sich zu erhalten. Organismen sind (temporäre) Taschen niedriger Entropie in einer Welt, die ansonsten hoher Entropie zustrebt.
Aus der Umwelt Einströmendes wird von Organismen verarbeitet zu Konstituenten und Beziehungen zwischen Konstituenten. Abfallprodukte und Nebenprodukte der Verarbeitung fließen zurück in die Umwelt.
Daraus folgt, dass Organismen sich mindestens durch Wachstum und Stoffwechsel auszeichnen. Der Stoffwechsel ist stetig. Wachstum jedoch dauert nur so lange, bis ein Organismus ausgewachsen ist. In Ausgewachsenheit stehen seine durch die DNS definierte fundamentale Struktur und die Umwelt in Balance.
Reibungslosigkeit scheint mir dabei auf mehreren Ebenen essenziell:
- Bei konstanter Umwelt müssen die Transformationen reibungslos ablaufen.
- Bei sich moderat verändernder Umwelt müssen Transformationen und Strukturen reibungslos angepasst werden.
- Bei sich stark verändernder Umwelt müssen die Grundregeln für Transformationen und Strukturen reibungslos angepasst werden.
Fehlerarm, energiearm, geschmeidig: das ist für mich Reibungslosigkeit. Angemessene Kopplungen gehören genauso dazu wie Puffer. In allem ist Balance essenziell. Denn nur aus der Balance, aus einer „mittleren“ Position heraus bestehen die größten Freiheitsgrade. Moderation in allem scheint mir deshalb die Grundtugend des Lebens. Homöodynamik nennt das die Systemtheorie.
Ordnungen der Transformation
Wie lebensfähig ein Organismus ist, hängt also davon ab, Transformationen welcher Ordnung er beherrscht. Ursprünglich geht es nur um die Transformationen 1. Ordnung zum Erhalt dessen, was ist. Doch eine konstante Umwelt ist kaum zu erwarten. Schon primitive Organismen müssen daher Transformationen der 2. Ordnung beherrschen. Sie müssen nicht nur transformieren, sondern auch reagieren, d.h. ihre Basistransformationen transformieren.
Und wenn die Umwelt noch volatiler ist… dann sind Transformationen der 3. Ordnung nötig. Nicht nur reagieren, sondern reflektieren. Das bedeutet, die Reaktionen transformieren.
Gibt es auch noch Transformationen der 4. Ordnung? Ich denke schon. Sie transformieren die Reflektion. Das würde ich als Kontemplation bezeichnen.
Außerdem gibt es noch eine Transformation von Umwelteinflüssen in Mittel zur Herstellung von inneren Strukturen. Das ist die Transformation 0. Ordnung. Es werden die Voraussetzungen für den Strukturaufbau und -erhalt geschaffen, mit denen sich die 1. Ordnung beschäftigt. Die 0. Ordnung schafft die Bedingung für die Möglichkeit Leben.
Organisationen als lebende Systeme
Was bedeutet das für Unternehmen?
Unternehmen müssen sich überhaupt als Transformatoren verstehen. Und je volatiler ihre Umwelt ist, desto mehr Ordnungen der Transformation müssen sie reibungslos beherrschen. Alles in ihnen muss darauf ausgerichtet sein, reibungslos zu transformieren.
Das bedeutet, es geht immer um… Prozesse. Das sind für mich koordinierte Abfolgen von Verarbeitungsschritten.
Diese Prozesse verwandeln Input in Output. Die 0. Ordnung ist dabei primär nach außen, mit der Umwelt verbunden; ihre Aufgabe ist, „Rohstoff aufzusaugen". Höhere Ordnungen jedoch arbeiten nach innen.
Es ergeben sich zwei grundsätzliche Arbeitsfoki: man kann im Prozess arbeiten oder am Prozess. Wer im Prozess auf einer Ebene arbeitet, für den ist die Prozessstruktur fixiert. Die Transformation kann nur in ihrem Rahmen verändert werden.
Wer hingegen am Prozess arbeitet, dessen Input und Output ist der Prozess.
Per definition arbeitet die Transformation n-ter Ordnung am Prozess (n-1)-ter Ordnung.
Neben dieser Transformationshierarchie gibt es jedoch noch eine zweite, orthogonale: die Prozesshierarchie.
Auf einer Ebene der Ordnungshierarchie kann es ja mehrere Prozesse geben. Die mögen unabhängig ablaufen oder Gemeinsamkeiten teilen.
Jeder dieser Prozesse enthält beliebig viele Schritte. Daraus ergibt sich schon eine grundlegende Hierarchie: Prozess als Ganzes, Schritte als Teile. Jeder Schritt kann darin wieder aus weiteren bestehen. Die Hierarchie ist also beliebig tief.
Prozesse so „in der Vertikalen“ zu strukturieren, ist zumindest eine kognitive Hilfe, selbst wenn es in der Realität nur die unterste Ebene geben sollte.
Aber es kann sich auch als nützlich erweisen, Prozessschritte auf höherer Ebene zu manifestieren. Sie dienen dann der Koordination ihrer Teile im Sinne der gegebenen Struktur, um die gestellte Transformationsaufgabe reibungslos zu erfüllen.
Damit ist Koordination getrennt von Transformation.
Und Transformation würde ich nochmal unterteilen wollen in Operation und Führung.
Operation ist Transformation mit Fokus auf die Umwelt des Unternehmens. Führung hingegen ist Transformation mit Fokus auf die Innenwelt des Unternehmens.
Mit diesen Differenzierungen fühle ich mich nun ganz wohl. Ich glaube, ich verstehe das Leben jetzt ein bisschen besser. Das scheint mir eine hilfreiche Brille, durch die ich auf das Leben und Weben von Organisationen schauen kann.
Außerdem bekomme ich damit einen anderen Blickwinkel auf die Diskussion „Selbstorganisation vs Hierarchie“ in Unternehmen. Die ist zwar ohnehin müßig, weil Selbstorganisation und Hierarchie nicht im Widerspruch stehen. Eine Selbstorganisation darf Hierarchien in der Organisation selbst definieren. Aber sie wird nun doppelt müßig, weil Hierarchie sich nicht vermeiden lässt. Die Organisationswelt kann einfach besser verstanden werden, wenn man sie in Ebenen gliedert und sogar nach oben hin zuspitzt (also in Pyramidenform bringt). Darin steckt ja überhaupt keine Wertung. Es ist lediglich eine Hilfestellung für Wahrnehmung und Verständnis.
Oder noch anders gesagt: Hierarchie, Heterarchie, flach, in Kreisen oder sonstwie… das ist doch alles einerlei. Einzig entscheidend ist, was die beste Organisationsform ist, um die Transformationen in den durch die Volatilität der Umwet geforderten Ordnungen reibungslos ablaufen zu lassen.