Beraten lassen hilft

Können externe Berater Unternehmen überhaupt helfen? Diese Frage will Conny Dethloff in einer Blogparade umkreisen, der  ich mich anschließen möchte. Immerhin verstehe ich mich irgendwie auch als Berater, selbst wenn das nicht auf meiner Visitenkarte steht.

Der Berater

Bevor ich erörtere, ob externe Berater hilfreich sein können, eine kurze Vergewisserung, was denn überhaupt ein Berater ist. Nicht, dass am Ende Missverstände entstehen, nur weil wir Paradeteilnehmer davon unterschiedliche Vorstellungen haben.

Ich will den Begriff mal recht wörtlich nehmen: Ein Berater ist jemand, der einem anderen einen Rat gibt, der ihn berät, mit dem sich einer beratschlagt. Ein Rat kommt in der Form "Überleg doch mal..." oder "Das könntest du auch so machen..." oder "Hast du daran schon gedacht..." oder "Ich habe schonmal gesehen, dass..." oder "Willst du nicht einmal ausprobieren, ob..." usw. daher.

Der Berater ist also nicht der unmittelbar Betroffene. Insofern ist er immer extern zumindest zur Entscheidungsinstanz in Bezug auf ein Problem.

Da der Berater nicht der Entscheider ist, ist der Rat auch kein Befehl, nicht Imperativ, sondern eher Konjunktiv. Der Beratene muss dem Rat nicht folgen. Er ist für ihn lediglich ein Input, um in einer Angelegenheit zu einer Entscheidung zu kommen.

Und worin besteht der Rat eines Beraters? Das mag durch Kontrastierung mit anderen Rollen klarer werden:

  • Ein Trainer hat die Aufgabe, den Trainee ganz konkret anzuweisen im Sinne einer Zielerreichung. Der Trainer soll es also besser wissen als der Trainee. Der Trainer hat sozusagen die Lösung in der Tasche - auch wenn er sich natürlich an die aktuellen Gegebenheiten und die Entwicklung eines Trainees anpassen muss.
  • Ein Coach hat zwar auch die Aufgabe, den Coachee auf ein Ziel hin zu führen, doch er hat dafür nicht die konkreten Fähigkeiten. Die Fähigkeiten des Coach liegen vielmehr auf der Metaebene: Er weiß, wie er den Coachee befähigt, sich selbst in die Lage zu versetzen, das Ziel zu erreichen. Die Lösung steckt sozusagen schon in der Tasche des Coachee - nur muss er sie darin noch finden.
  • Der Therapeut schließlich hat ebenfalls die Aufgabe, einen Patienten auf dem Weg zu einem Ziel behilflich zu sein. Dabei nimmt er allerdings eine Zwitterstellung zwischen Trainer und Coach ein. In manchen Fällen weiß er, was zu tun ist (Trainer), in anderen ist er eher Geburtshelfer (Coach).

Ein Berater ist weder Trainer, noch Coach, noch Therapeut. Ein Berater hat aus meiner Sicht nicht die Aufgabe, die Lösung zu kennen. Er mag Erfahrung mit dem Problem des Beratenen haben, dadurch kann er sich vielleicht besser einfühlen, doch eine Lösung erwartet man von ihm nicht. Weder direkt, noch indirekt.

Ebenso wenig ist der Berater Coach. Denn der Berater darf und soll sich gern persönlich einbringen. Er muss keine systemische Distanz bewahren. Er muss nicht den vorsichtigen Geburtshelfer mimen, der darauf achtet, dass er „das System“ nicht unlauter beeinflusst.

Nein, für mich hat der Berater eine viel geradlinigere, ungekünstelte Aufgabe: er soll seine Meinung sagen. Seine subjektive Sicht der Dinge ist gefragt. Die kann das Problem neu beleuchten, die kann dem Entscheider einen Spiegel vorhalten, die kann auch Lösungsideen präsentieren. Alles ist erlaubt, was dem Entscheider einen Impuls gibt.

Der Berater ist deshalb gerade kein „Besserwisser“ wie Trainer, Coach und Therapeut es auf der einen oder anderen Ebene sind und auch sein sollen. Deshalb konsultiert man sie ja. Beratung soll nicht Besseres, sondern Anderes liefern.

Der Beratene

Ratsuchend ist eine Instanz, die in einer Angelegenheit nicht weiter weiß. Sie hat ein Problem auf dem Weg zu einem Ziel; das muss beseitigt werden. Sie fühlt sich (noch) nicht in der Lage, dafür eine Entscheidung zu treffen.

Der Ratsuchende wendet sich an einen Berater mit der Bitte um Ratschläge. Dabei gibt der Beratene jedoch nicht seine Autonomie auf. Rat wird lediglich als Angebot verstanden. Das geht letztlich auch nicht anders. Autonome Systeme können nur eingeladen werden. Veränderungen im Zustand sind stets eigenverantwortlich - vorbehaltlich der Einwirkung von Gewalt.

Unter der Prämisse der Redlichkeit des Beraters wird der Beratene also bereichert durch einen Rat. Was er damit macht, bleibt ihm überlassen.

Vom Wert des Beraters

Der grundsätzliche Wert eines Beraters, der nicht nur extern der Entscheidungsinstanz ist, sondern auch noch extern des zu verändernden Systems, ist für mich unzweifelhaft. Er füllt zwischen Trainer und Coach eine Lücke.

Der Berater muss keine Lösung bieten, aber er kann sich ganz einbringen. Daraus resultiert eine Energie, die Trainer oder Coach nicht bieten können. Wilde Phantasie kann genauso Bestandteil eines Ratschlags sein wie sehr persönlicher Fingerzeig. Gerade durch seine Externalität befreit er den Beratenen temporär von sich selbst. Für einen Moment zumindest nimmt er ihm eine Last von den Schultern. Bei Trainer wie Coach ist der Klient ja konstant unter Strom; nicht so beim Berater.

Natürlich sind alle autonomen Systeme dazu verurteilt, sich von innen heraus zu ändern. Dazu können sie jedoch Werkzeuge zur Hilfe nehmen, die von außen wirken. Dadurch erreichte Zustandsänderungen müssen allerdings am Ende möglichst vollständig vom System assimiliert werden. Sonst bleiben sie Fremdkörper und entfalten nicht ihre volle Wirkung. Die Assimilation kann dem autonomen System nicht abgenommen werden.

Beratung ist eine Form, wie von außen auf das System eingewirkt werden kann. Sie stellt eine erwünschte Verstörung dar. Dafür gibt es - wie für jedes Werkzeug - geeignete Situationen und weniger geeignete.

Vom Wert der Ratsuche

Tendenziell unterschätzen Systeme noch den Nutzen von Beratung. Der liegt nämlich nicht nur im Rat. Vielmehr beginnt Beratung positiv zu wirken schon in dem Moment, da sie als Möglichkeit in Betracht gezogen wird und noch mehr, wenn dann Rat gesucht wird. Denn damit erkennt der Ratsuchende an, dass er erstens ein Problem hat und zweitens an eine Grenze gestoßen ist.

Ratsuche ist insofern ein Akt der Demut. Wer sich beraten lässt beweist, dass er mit der Kränkung, die das Erleben von Unvermögen und Ratlosigkeit darstellt, erwachsen umgehen kann. Schon das halte ich für einen Gewinn für den Charakter. Der Ratsuchende erscheint damit seiner Umwelt menschlich(er), damit ähnlicher und damit tendenziell vertrauenswürdiger.

Und weiter entfaltet Ratsuche einen positiven Effekt, indem der Ratsuchende sich dem Berater erklären muss. Um einen Ratschlag erteilen zu können, muss ja der Berater ins Bild gesetzt werden. Das erfordert Transparenz und Bewusstheit auf Seiten des Beratenen. Die Antwort auf die Frage des Beraters „Was ist denn los?“ bietet somit Gelegenheit, die eigene Wahrnehmung im Verlauf einer Darstellung der Situation kritisch zu reflektieren. Der Ratsuchende erfährt durch den Zwang zur expliziten Formulierung von bisher womöglich nur dumpf Empfundenem eine selbstgenerierte Erkenntnis. Während und durch das Beschreiben wird er sich selbst klarer.

Wer sich beraten lässt, schränkt also seine Autonomie bzw. Selbstverantwortung nicht ein, sondern betont sie sogar. Der Ratsuchende initiiert die Beratung. Er öffnet sich ganz bewusst für Einflüsse.

Vom Wert anderer Lösungen

Der Berater ist damit Tür und Brücke zu anderen Welten. Der Ratsuchende hat gewöhnlich anderes zu tun, als sich in diesen zu tummeln. Oder er hat nicht einmal Zugang zu ihnen. Indem er einen Berater hinzuzieht, hat er die Chance, sich jenseits seines Horizonts zu informieren. Lösungen dort können Anregungen für Lösungen bei Ratsuchenden sein.

Denn so verschieden autonome Systeme (Menschen, Unternehmen) sein mögen… es gibt doch Muster und Konstanten. Die Freude an der natürlichen und unvermeidbaren Individualität sollte nicht in Selbstverliebtheit umschlagen. Wer in allem nur einzigartig, unvergleichbar, außer-gewöhnlich sein will, der ist im doppelten Sinn nicht ganz normal. Das macht im besten Fall einsam und im schlimmsten kostet es viel Mühe. Denn wer mit nichts zu vergleichen ist, der kann kaum von anderen lernen, der ist zu hohem Aufwand verurteilt, weil jedes Rad selbst erfunden werden muss.

Wenn der Berater also Verweise auf andere bringt, Analogien spinnt oder Best Practices aufruft, dann ist das durchaus hilfreich. Das alles stellt lediglich Einladungen dar, von anderen zu lernen. Wo es bekannte oder (noch) unbekannte Gesetzmäßigkeiten gibt, liegt es nahe anzunehmen, dass sich in deren Kraftfeldern Lösungen bei anderen Systemen finden lassen, die lehrreich sind und adaptierbar. Von schnellen Abhilfen oder Tipps & Tricks zu träumen, ist aber natürlich illusorisch.

Bottom line: Bringen Berater Mehrwert für den Wandel in Unternehmen? Selbstverständlich. Wie jedes Hilfsmittel haben auch sie jedoch nur ein begrenztes Einsatzgebiet. Der redliche Berater wird das in seine Ratschläge mit einbeziehen. Und der erwachsene Ratsuchende wird das in seiner Verarbeitung von Ratschlägen in Anschlag bringen. Kein Berater wird ihn von der Selbstverantwortung entbinden wollen und auch nicht können.

Disclaimer: Als Trainer und Berater schreibe ich positiv über’s Beraten. Lüge ich mir denn da nicht allzu schnell in die Tasche - und meinen Kunden obendrein? Bin ich nicht befangen? Natürlich bin ich befangen. Wie denn auch nicht, wenn ich aus Überzeugung berate? Ich kann daher nicht dafür garantieren, hier "absolute Wahrheit" verkündet zu haben. Der Nutzen von Beratung mag so sein oder ganz anders. Mehr als eine Meinung tue ich hier nicht kund - allerdings mit dem Versuch einer Begründung. Das Einzige, was ich also versprechen kann ist Redlichkeit bzw. Authentizität bzw.!Kongruenz. Was Sie als geneigter Leser daraus machen… das liegt in Ihrer Verantwortung.

This article was updated on 25.01.2021